"Freiwilliger Abschied": Vorsicht vor der Abfindung!

Von VOLKER LOOMAN

Freier Autor in der Wirtschaft.

Geboren am 18. April 1955 in Dresden. Er ist am Bodensee aufgewachsen und entdeckte bereits als Schüler beim Südkurier in Konstanz seine Liebe für den Journalismus. Nach dem Abitur und dem Militärdienst folgte ein Studium der Geographie in Gießen, Stuttgart und Tübingen. Anschließend arbeitete er als freier Autor für die Wirtschaftswoche, für Capital und die F.A.Z. Von 1988 bis 1998 unterrichtete Volker Looman zehn Jahre lang Finanzmathematik in Banken, Bausparkassen und Versicherungen. Ab 1999 schrieb er 16 Jahre lang jeden Samstag in der F.A.Z. "Die Vermögensfrage". Von 2015 bis 2017 folgte ein journalistischer Ausflug zu BILD in Berlin, und seit 2016 erscheint im Finanzteil der F.A.Z. jeden Dienstag die Geldkolumne, die sich durch ihre Mischung aus Boulevard und Fachwissen größter Beliebtheit erfreut. Volker Looman ist verheiratet, hat vier Kinder, arbeitet als Finanzanalytiker in Berlin und wohnt (wieder) in Dresden.

-AKTUALISIERT AM 03.04.2021-09:46

Eine Abfindung zum Abschied ist kein Trost - auch wenn diese im ersten Moment üppig erscheint. Unser Finanzexperte mahnt: Sie ist eine Beruhigungspille auf der Fahrt in die finanzielle Hölle.

Freude über die Abfindung nach Kündigung währt meist nur kurz.
Bild: picture alliance

Trude Hesterberg und andere Künstlerinnen singen, dass es sich nicht lohnt, beim Auseinandergehen zu weinen, weil an der nächsten Ecke schon ein anderer Partner steht. Das sehe ich als Mann, soviel Gleichberechtigung muss erlaubt sein, keinen Deut anders. Was für die erloschene Liebe gilt, sollte aber nicht auf die Wirtschaft übertragen werden. Hier wird es finster, wenn die Kündigung ins Haus flattert, und wer älter als 55 Jahre ist, kann sich auch in Berlin recken und strecken, wie er will. Er gehört in beruflicher Hinsicht zum alten Eisen, und er wird, wenn kein Wunder geschieht, keine Anstellung mehr finden. Da sind auch Abfindungen kein Trost. Sie sind eher eine Beruhigungspille auf der Fahrt in die finanzielle Hölle. Wenn Sie das nicht glauben, können Sie sich ja mal die folgenden Zahlen ansehen.

Ein geschiedener Ingenieur ist 56 Jahre jung und seit 15 Jahren in der schwäbischen Autoindustrie tätig. Er verdient 10.000 Euro im Monat, was nicht ganz schlecht ist, wie es im Südwesten dieser Republik heißt, doch nun hat sich das Gewitter entladen, das seit Monaten über der Firma hing. Der Vorstand des Unternehmens hat beschlossen, die Belegschaft um 10 Prozent abzubauen, und der Sozialplan nebst den Abfindungen liegt auf dem Tisch. Die Rechnung des Arbeitgebers ist einfach. Er multipliziert - in Anlehnung an Paragraph 1a des Kündigungsschutzgesetzes - den halben Bruttolohn des Ingenieurs mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit, so dass eine Abfindung von brutto 75.000 Euro herauskommt.

Der Betrag ist in voller Höhe steuerpflichtig. Falls das Geld am Ende des dritten Quartals des Jahres überwiesen wird, klettert das Einkommen von 90.000 auf 165.000 Euro. Dadurch steigen die Abgaben, bestehend aus Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag, um 33.232 Euro, und die Abfindung sinkt auf 41.768 Euro. Das mag auf den ersten Blick ein üppiges Trostpflaster sein, doch was sind schon 41.768 Euro, wenn der Ruhestand in weiter Ferne liegt, im vorliegenden Fall in elf Jahren?

Der Ingenieur muss die Abfindung nur durch 132 Monate teilen, um in aller Deutlichkeit zu sehen, dass mit einer "Rente" von 316 Euro pro Monat kein Blumentopf zu gewinnen ist. Der Mann kann noch anderthalb Jahre auf das Arbeitslosengeld 1 in Höhe von 2200 Euro hoffen, doch in 18 Monaten droht der finanzielle Kollaps, falls der Gekündigte weder eine Freundin hat, die fähig und willens ist, ihren Liebhaber finanziell zu unterstützen, noch Vermögen in ausreichender Höhe besitzt, um selbst über die Runden zu kommen. Der wackere Schwabe kann die drohende Entlassung mit einer Kündigungsschutzklage anfechten. Das dürfte aber bei einem Sozialplan, der von Fachleuten aufgestellt worden ist, wenig Aussicht auf Erfolg haben, und falls die Sache vor Gericht scheitert, ist die Abfindung im Eimer.

Gegen Arbeitslosigkeit helfen Geld, Geld und Geld

Was will ich Ihnen mit dieser Geschichte sagen? Es gibt im Leben keine Sicherheit. Die größte Gefahr ist eine Krankheit, und dann kommen Scheidung und Arbeitslosigkeit. Die finanziellen Folgen von Krankheiten können mit Hilfe von Versicherungen abgefedert werden. Bei abgekühlter Liebe wird Sie ein solider Ehevertrag vor finanzieller Plünderung bewahren. Gegen Arbeitslosigkeit aber helfen nur drei Dinge: Geld, Geld und noch einmal Geld. Das ist jungen Leuten, die im Alter von 25 oder 30 Jahren ins Berufsleben starten, kaum zu vermitteln.

Ich schreibe mir seit 35 Jahren die Finger wund, mit dem Sparen so früh wie möglich zu beginnen, doch der Erfolg hält sich nach meinen Beobachtungen in engen Grenzen. Gegen das Auto, die Party und den Urlaub ist kein Kraut gewachsen, und wenn diese Dinge nicht mehr ausgelebt werden können, dann werden auch die Deutschen wieder auf die Barrikaden gehen. Das wird mich aber nicht davon abhalten, auch in Zukunft für Selbstverantwortung und Sparsamkeit einzutreten, weil mir sowohl Freiheit als auch Menschlichkeit über alles geht.

Der Lohn dieser Sparsamkeit können 400.000 bis 450.000 Euro sein, die arbeitslosen Mittfünfzigern helfen, die Zeit bis zum Rentenbeginn zu überbrücken. Mir ist natürlich bewusst, dass so gut wie kein Mensch für dieses "Ziel" sparen will, doch glauben Sie im Ernst, dass wir ein Recht auf Arbeit, Gesundheit und Liebe haben? Folglich ist Speck auf den Rippen in Form eines Depots, von Gold oder einer Immobilie die beste Vorsorge gegen Arbeitslosigkeit. Der Verkauf der Pretiosen und die Anlage der Erlöse zu 1 Prozent pro Jahr bieten 132 Monatsrenten von jeweils 3000 Euro, die jedes Jahr um 2 Prozent steigen.

Zur Not wird die Moralkeule ausgepackt

Abfindungen müssen nicht unbedingt in die Hölle, sondern können auch in den Himmel führen. Es gibt in jüngster Zeit vermehrt Manager, die mit Engelszungen auf ältere Kollegen einreden, das Unternehmen zu verlassen. Mal ist es das Empfinden, dass die alten Besen nicht mehr richtig kehren, mal ist es das Gefühl, dass die "Performance" der alten Garde nicht mehr stimmt. Besonders charmant finde ich die "Moralkeule" mediokrer Personalleiter, den Weg für die junge Generation freizumachen, und das Angebot "freiwilliger" Abfindungen. Haben Sie sich, wenn Sie solche Angebote erhalten haben, schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie "lukrativ" diese Offerten sind? Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, dann würde ich Ihnen, wenn Sie erlauben, gerne mit einem Beispiel auf die Sprünge helfen.

Bitte stellen Sie sich vor, 58 Jahre alt zu sein, die zweite Scheidung hinter sich zu haben, aber frei von Altlasten zu sein und 8000 Euro im Monat zu verdienen. Davon bleiben nach Abzug der Sozialabgaben und Steuern rund 4500 Euro übrig. Wie hoch müsste die Abfindung sein, um keine Stunde über den Ausstieg nachzudenken? Was meinen Sie? Sind das 650.000 oder 975.000 oder 1.300.000 Euro? Falls Sie mit diesen Zahlen nichts anfangen können, dann müssen wir uns eben in die finanziellen Niederungen betagter Spitzenverdiener begeben und das Pferd vom Schwanz aufzäumen. Damit meine ich die Auflistung "unverzichtbarer" Monatsausgaben.

Fangen wir mit dem Konsum an. Sie leben in einer Mietwohnung, die Sie nicht aufgeben möchten und die warm 1800 Euro kostet. Darüber hinaus fahren Sie ein Auto, das 500 Euro kostet und geben für Freizeit und Verpflegung jeweils 750 Euro aus. Das sind schon mal 3800 Euro, falls ich mich nicht verrechnet habe. Den monatlichen Überschuss von 700 Euro brauchen Sie in meinen Augen nicht, dafür bekommen Sie viel Freizeit. Auf die Beiträge, die der Arbeitgeber und Sie in die Krankenkasse, die Pflegeversicherung und die Rentenversicherung einbezahlen, können Sie aber auf keinen Fall verzichten. Sie benötigen zweimal 642 Euro, damit die Altersrente nicht absackt. Es sind zweimal 446 Euro nötig, um die Kranken- und die Pflegeversicherung bezahlen zu können. Das sind 2176 Euro, und wenn Sie alles addieren, kommen 5976 Euro zusammen. Das ist doch einfach, klar und nachvollziehbar - oder nicht?

Sonst bleibe ich bis zum letzten Tag!

Bis zum Ruhestand sind es neun Jahre beziehungsweise 108 Monate. Der Barwert einer Zahlungsreihe, die bei 6000 Euro beginnt und jedes Jahr um 2 Prozent steigt, beträgt bei einem jährlichen Anlagezins von 1 Prozent rund 671.000 Euro. Bitte glauben Sie bloß nicht, jetzt sei die Rechnerei vorbei. Der Fiskus ist bis ins Grab der treueste Begleiter, und er wird auch bei "freiwilligen" Abfindungen nicht von Ihrer schönen Seite weichen. Ich will Ihnen die Details ersparen, wie die steuerlichen Auswirkungen von Abfindungen unter besonderer Berücksichtigung der Fünftel-Regelung berechnet werden. Sie brauchen die 671.000 Euro, wenn Sie ein frommer Mensch sind und in die Kirche gehen, nur zu verdoppeln und werden auf 1.342.000 Euro kommen. Das ist doch, wenn Sie im Monat brutto 8000 Euro verdienen, eine klare Ansage an den Arbeitgeber: Entweder 1.342.000 Euro auf die Hand oder ich bleibe bis zum letzten Tag!

Ich muss mir in meinem Alter über Forderungen in dieser Höhe - Gott sei Dank - keine Gedanken mehr machen. Bitte lassen Sie jedoch, auch wenn Sie jünger sind, alle Hoffnungen fahren, dass Sie mit weniger Geld über die Runden kommen werden. Ich habe Ihre fixen Ausgaben aufgelistet, und ich glaube nicht, dass die Ausgaben bei solchen Einkommen weltfremd sind. Hinzu kommen die Sozialabgaben, deren Höhe nicht gesenkt werden kann. Kurzum: Sie brauchen die 6000 Euro, um das heutige Niveau halten zu können.

Die Abfindung von 1.342.000 Euro ist, da brauchen wir nicht lange um den heißen Brei herumzureden, ein frommer Wunsch. Darauf wird sich kein Arbeitgeber einlassen. Im Gegenzug kann aber jede(r) Angestellte - auch im Alter von 58 Jahren - niedrige und unsittliche Offerten des Arbeitgebers ablehnen. Bitte glauben Sie aber nicht, dass damit das "Kriegsbeil" begraben ist. Es gibt viele Möglichkeiten, Sie zur Strecke zu bringen. Das kann der Entzug von Verantwortung sein, das kann die Verbannung in den Keller sein. Genauso ist es möglich, dass Ihre jüngsten Spesenabrechnungen überprüft werden oder Taschenkontrollen beim Verlassen des Betriebes durchgeführt werden. Wer gründlich sucht, wird irgendwas finden, und das könnte Ihnen zum Verhängnis werden. Daher kann ich Ihnen nur weitergeben, was ich in jungen Jahren in Calw und Nagold gelernt habe. Die erste Aufgabe des Fallschirmjägers ist Unauffälligkeit, und die zweite Aufgabe des Soldaten ist Wohlverhalten. Dann kann es im Berufsleben und in der Gemeinschaft gelingen!


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